832.10
Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
Jahrgang 1971 Nr. 50 ausgegeben am 29. Dezember 1971
Gesetz
vom 24. November 1971
über die Krankenversicherung
Dem nachstehenden, vom Landtag gefassten Beschluss, erteile Ich Meine Zustimmung:
1. Teil
Organisation
Träger der Krankenversicherung
Art. 1
1. Allgemeines
Die Krankenversicherung nach den Bestimmungen dieses Gesetzes wird durch Krankenkassen, die von der Regierung anerkannt sind, und durch den Liechtensteinischen Krankenkassenverband durchgeführt.
Art. 2
2. Anerkannte Krankenkassen
1) Die Regierung anerkennt Krankenkassen, die
a) als Genossenschaft, Stiftung oder Verein (Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit oder Hilfskasse) organisiert sind;
b) ihren Sitz in Liechtenstein haben;
c) die Krankenversicherung in der durch Gesetz und zwischenstaatliche Vereinbarung umschriebenen Weise nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreiben;
d) Sicherheit dafür bieten, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen können.
2) Die Regierung kann entsprechend organisierte ausländische Krankenkassen anerkennen, sofern sie eine Zweigniederlassung oder Sektion in Liechtenstein haben und die Voraussetzungen gemäss Abs. 1 Bst. c und d erfüllen.
3) Die Krankenkassen, die sich um die Anerkennung bewerben, haben der Regierung die Statuten und Reglemente zur Genehmigung zu unterbreiten und alle erforderlichen Angaben über ihren Tätigkeitsbereich zu machen. Jede Änderung der Statuten und Reglemente bedarf der Genehmigung der Regierung. Ein Verzicht auf die Anerkennung ist der Regierung schriftlich mitzuteilen und wird drei Monate nach der Mitteilung wirksam.
4) Die anerkannten Krankenkassen werden in diesem Gesetz als Kassen bezeichnet.
Art. 3
3. Landesverband der Krankenkassen
1) Die Kassen gehören von Gesetzes wegen dem Liechtensteinischen Krankenkassenverband an, der als Verein organisiert und im Öffentlichkeitsregister eingetragen ist. Er wird in diesem Gesetz als Verband bezeichnet.
2) Die Aufgaben des Verbandes werden in den Statuten umschrieben. Dem Verband obliegt insbesondere der Abschluss von Tarifverträgen mit Ärzten, medizinischen Hilfspersonen und Heilanstalten.
3) Die Statuten des Verbandes und die von ihm abgeschlossenen Tarifverträge bedürfen der Genehmigung der Regierung.
4) Die Regierung kann sich an Tarifverhandlungen vertreten lassen.
5) Kommt ein Tarifvertrag nicht zustande, so legt die Regierung den Tarif fest, zu dem den Versicherten die Kosten vergütet werden. Sie kann diesen Tarif befristen. Soweit Leistungen für Krankenpflege durch bestehende Tarifverträge nicht erfasst sind, kann die Regierung die Leistungen der Kassen festsetzen.
Art. 4
Aufsicht
1) Die Kassen und der Verband unterstehen der Aufsicht der Regierung. Sie haben ihr jeweils Jahresrechnung und Jahresbericht einzureichen und die erforderlichen statistischen Angaben zu machen und Auskünfte zu erteilen. Die Regierung kann nähere Vorschriften über das Rechnungswesen, die Vermögensanlagen und die periodische Prüfung der Geschäftsführung der Kassen erlassen.
2) Die Regierung sorgt für die einheitliche Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und kann zu diesem Zwecke den Kassen generelle Weisungen erteilen.
3) Kommt eine Kasse den gesetzlichen Vorschriften oder den Weisungen der Regierung nach schriftlicher Mahnung nicht nach, so kann ihr der Staatsbeitrag teilweise oder ganz gesperrt oder aberkannt und in schweren Fällen die Anerkennung entzogen werden.
Art. 5
Schweigepflicht
Die Mitglieder der Organe und die Angestellten der Kassen und des Verbandes haben über die Wahrnehmungen bei ihren dienstlichen Verrichtungen Dritten gegenüber Verschwiegenheit zu wahren.
Art. 6
Steuerfreiheit
1) Die Kassen und der Verband sind von der Pflicht zur Errichtung der Vermögens- und Erwerbssteuer bzw. der Kapital- und Ertragssteuer befreit und dürfen auch von den Gemeinden mit keinen Steuern belastet werden.
2) Urkunden und Registerauszüge, die der Durchführung der Versicherung dienen, sind von öffentlichen Gebühren befreit.
2. Teil
Versicherte Personen
Art. 7
Obligatorische Versicherung
1) Obligatorisch versichert sind
a) für Krankenpflege: Personen, die in Liechtenstein ihren zivilrechtlichen Wohnsitz haben oder eine Erwerbstätigkeit ausüben, mit Ausnahme der Grenzgänger;
b) für Krankengeld: über 15jährige Arbeitnehmer, die in Liechtenstein für einen Arbeitgeber mit Sitz oder Niederlassung in Liechtenstein tätig sind.
2) Die Regierung erlässt nähere Vorschriften über die Versicherungspflicht, namentlich der kurzfristig oder unregelmässig beschäftigten Personen.
Art. 8
Freiwillige Versicherung
1) Obligatorisch Versicherte können sich für Leistungen, die über den Rahmen der Pflichtversicherung hinausgehen, freiwillig versichern.
2) In Liechtenstein wohnhafte über 15jährige Personen, die für Krankengeld nicht obligatorisch versichert sind, können sich hiefür freiwillig versichern.
Kassenmitgliedschaft
Art. 9
a) Erwerb
1) Die Kassen haben Personen im Sinne von Art. 7, die die statutarischen Aufnahmebedingungen erfüllen, als Einzel- oder Kollektivmitglieder ohne Rücksicht auf das Alter, den Gesundheitszustand oder eine allfällige Schwangerschaft aufzunehmen und für die in diesem Gesetz umschriebenen Leistungen zu versichern. Bei freiwillig Versicherten gemäss Art. 8 können sie Altersgrenzen vorsehen oder Krankheiten, die bei der Aufnahme bestehen oder vorher bestanden haben und erfahrungsgemäss zu Rückfällen führen, durch einen Vorbehalt von der Versicherung ausschliessen; der Vorbehalt fällt jedoch spätestens nach drei Jahren dahin.
2) Die Wahl der Kasse ist unter Vorbehalt arbeitsrechtlicher Regelungen frei.
3) Der Versicherungsschutz ist dem in die Kasse Aufgenommenen vom ersten Tag der Mitgliedschaft an zu gewähren. Vorbehalten bleibt Art. 15 Abs. 1.
Art. 10
b) Änderung der Versicherungsart und Freizug
Die einzelne Kasse hat
a) obligatorisch oder freiwillig Versicherte, die aus einer Kollektivversicherung ausscheiden, aber im Tätigkeitsbereich der Kasse verbleiben, in die Einzelversicherung aufzunehmen und ihnen den bisherigen Leistungsumfang zu wahren;
b) obligatorisch und freiwillig Versicherte, die aus dem Tätigkeitsbereich einer anderen Kasse ausscheiden, aufzunehmen und im Rahmen ihrer Statuten und Reglemente in dem Umfange zu versichern, in dem sie vorher versichert waren.
Art. 11
Erfassung der Versicherungspflichten
1) Das Amt für Industrie und Gewerbe überwacht die Erfassung der obligatorisch Versicherten. Es ordnet die Art und Weise der Erfassung an. Die Arbeitgeber, Verwaltungsbehörden und Sozialversicherungsträger haben dabei eine Melde- und Kontrollpflicht.
2) Das Amt für Industrie und Gewerbe weist nötigenfalls Versicherungspflichtige nach einem durch Verordnung festzulegenden Schlüssel den einzelnen Kassen zu. Es hat von der Zuweisung abzusehen, wenn sich der Pflichtige darüber ausweist, dass er bei einer anderen Versicherungseinrichtung gleichwertig versichert ist.
3. Teil
Leistungen
Art. 12
Versichertes Risiko
1) Die Leistungen sind den obligatorisch und freiwillig Versicherten bei Krankheit und, soweit nicht eine andere Versicherung leistungspflichtig ist, bei Unfall zu gewähren. Bestreitet die andere Versicherung ihre Leistungspflicht, so gewährt die Kasse ihre Leistungen. Im Umfang der erbrachten Leistungen tritt die Kasse von Gesetzes wegen in die Ansprüche des Versicherten gegen die andere Versicherung ein.
2) Die Kassen sind befugt, in ihren Statuten aussergewöhnliche Gefahren und Wagnisse im Sinne der Bestimmungen über die obligatorische Unfallversicherung auszuschliessen. Für den Fall einer grobfahrlässigen Herbeiführung eines Unfalles durch den Versicherten kann in den Statuten die Kürzung der Leistungen, für den Fall einer absichtlichen Herbeiführung die Verweigerung der Leistungen vorgesehen werden.
3) Mutterschaft ist der Krankheit gleichgestellt.
4) Die Regierung ordnet das Verhältnis der Krankenversicherung zur Invalidenversicherung und zur obligatorischen Unfallversicherung.
Art. 13
Krankenpflege
1) Die Leistungen für Krankenpflege haben zu umfassen:
a) die Deckung der tarifmässigen Kosten (Art. 3) für ambulante Behandlung durch den Arzt oder durch eine medizinische Hilfsperson auf ärztliche Verordnung ohne zeitliche Beschränkung, mit Einschluss der vom Arzt verordneten Arzneimittel und Analysen;
b) die Deckung der tarifmässigen Kosten für die Behandlung, Verpflegung und Unterkunft in der allgemeinen Abteilung einer Heilanstalt ohne zeitliche Beschränkung;
c) einen Kurbeitrag an ärztlich verordnete Badekuren.
2) Die Regierung erlässt nähere Vorschriften über die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen; sie kann die Kassen zur Übernahme bestimmter präventivmedizinischer Massnahmen verpflichten und die Leistungspflicht für Versicherte im Ausland einschränken oder ausschliessen.
Art. 14
Krankengeld
1) Den obligatorisch Versicherten ist bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit ab dem zweiten Tage nach dem Tag der Erkrankung bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder bis zum Beginn des Bezuges einer Invalidenrente ein Krankengeld zu gewähren. Bezügern von Altersrenten, die bei der Erkrankung noch im Erwerbsleben stehen, darf das Krankengeld während längstens 720 Tagen innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden Tagen ausbezahlt werden. Der Leistungsbeginn kann aufgeschoben werden, falls der Arbeitgeber für die Aufschubzeit zur Lohnzahlung sich verpflichtet oder nach Gesetz verpflichtet ist, und er Gewähr für die Lohnfortzahlung bietet. Das Krankengeld beträgt mindestens 80 % des dem Versicherten entgehenden Lohnes, einschliesslich regelmässiger Nebenbezüge. Ein Mehrbetrag des Lohnes über 100 Franken im Tag wird nicht berücksichtigt; die Regierung kann auf dem Verordnungswege den Höchstlohn der allgemeinen Lohnentwicklung anpassen. Das Krankengeld ist ohne Rücksicht auf den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse auszuzahlen.
2) Den freiwillig Versicherten ist bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit mindestens während der in Abs. 1 umschriebenen Dauer das nach den Statuten und Reglementen versicherte Krankengeld zu gewähren.
3) Kinder dürfen bis zum vollendeten 15. Altersjahr nicht für Krankengeld versichert sein.
Art. 15
Leistungen bei Mutterschaft
1) Wöchnerinnen sind die Leistungen gemäss Art. 13 und 14 zu gewähren, wenn sie bis zum Tage der Niederkunft während wenigstens 270 Tagen, ohne eine Unterbrechung von mehr als drei Monaten, Kassen angehört haben.
2) Die Leistungen sind während zehn Wochen, wovon mindestens sechs nach der Niederkunft liegen müssen, zu erbringen.
3) Die Geburtshilfe durch Arzt und Hebamme, sowie die nötigen Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft und innerhalb von zehn Wochen nach der Niederkunft gehören zur Krankenpflege.
4) Die Kosten der Pflege und Behandlung des Kindes in einer Heilanstalt innerhalb von zehn Wochen nach der Geburt sind im Rahmen von Art. 13 von der Kasse der Mutter zu übernehmen.
5) Den Versicherten steht es frei, sich zu Hause oder in einer Heilanstalt entbinden zu lassen.
6) Die Regierung kann Vorschriften erlassen über die Krankengeldberechtigung von Wöchnerinnen, die ihre Erwerbstätigkeit vorzeitig aufgeben.
Art. 16
Weitere Leistungen
Den Kassen steht es frei, ihre Mitglieder im Rahmen der Statuten und Reglemente für weitere Leistungen (Zahnpflege, Krankentransporte, Brillen, Zusatzleistungen für Spitalkosten und Spitalbehandlungskosten, Sterbegelder und dergleichen) zu versichern.
Art. 17
Verbot der Überversicherung
1) Den Versicherten darf aus den Leistungen kein Gewinn erwachsen.
2) Als Versicherungsgewinn gelten Leistungen, die den vollen entgehenden Verdienst und anderweitig nicht gedeckte krankheitsbedingte Kosten übersteigen.
Art. 18
Wahl der Medizinalpersonen und Heilanstalten
Für die Krankenpflege steht den Versicherten die Wahl unter den Ärzten, medizinischen Hilfspersonen und Heilanstalten sowie unter den Apotheken frei.
Art. 19
Wirtschaftlichkeit der Behandlung
Die Ärzte, Apotheker, medizinischen Hilfspersonen und Heilanstalten haben sich bei der Krankenbehandlung auf das durch das Interesse des Versicherten und den Behandlungszweck erforderliche Mass zu beschränken.
Art. 20
Kontrollärzte
Die Kassen sind befugt, Vertrauensärzte, insbesondere zur Kontrolle des ärztlichen Dienstes, zu bestellen.
4. Teil
Finanzierung
Finanzierung der Kassen
Art. 21
1. Allgemeines
Die Aufwendungen der Kassen werden finanziert aus
a) den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber;
b) den Kostenbeteiligungen der Versicherten;
c) den Beiträgen des Staates.
Art. 22
2. Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber
1) Die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber sind jeweils so zu bemessen, dass daraus unter Berücksichtigung der übrigen Einnahmequellen die jährlichen Aufwendungen für Versicherungsleistungen und Verwaltungskosten gedeckt und die nötigen Vermögensreserven gebildet werden können. In der Kollektivversicherung kann das Risiko des einzelnen Vertrags berücksichtigt werden.
2) Die Beiträge sind entweder in Prozenten des Lohnes oder in festen Beträgen zu erheben.
3) Die Beiträge der volljährigen Versicherten dürfen nicht nach dem Alter, wohl aber nach dem Geschlecht abgestuft werden, doch dürfen die Beiträge der Frauen jene der Männer um höchstens 10 % übersteigen. Die Beiträge der Versicherten bis zum erfüllten 15. Altersjahr dürfen höchstens die Hälfte derjenigen der volljährigen Versicherten betragen.
4) Die Beiträge der obligatorischen Krankenpflege- und Krankengeldversicherung der Arbeitnehmer gehen zur Hälfte zu Lasten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat die Beiträge des Arbeitnehmers bei der Lohnzahlung in Abzug zu bringen und zusammen mit seinen eigenen periodisch der Kasse zu entrichten.
Art. 23
3. Kostenbeteiligung der Versicherten
Die Kassen können die Versicherten zur Mittragung ihrer Krankenpflegekosten heranziehen und ihnen einen Selbstbehalt von höchstens 10 %, im Maximum jedoch von 100 Franken je Krankheitsfall auferlegen. Kein Selbstbehalt darf erhoben werden auf Leistungen
a) für die Versicherten unter 15 Jahren und für die AHV- und IV-Rentner sowie für die Unfallversicherungs-Vollrentner;
b) bei Heilanstaltsaufenthalt, bei ärztlich verordneten Badekuren und bei Mutterschaft.
Art. 24
4. Beiträge des Staates
1) Der Staat leistet den Kassen an die Kosten der obligatorischen Versicherung einen jährlichen Beitrag in der Höhe von
60 % der Krankenpflegekosten für die über 65jährigen Versicherten,
30 % der Krankenpflegekosten für die Versicherten bis zum erfüllten 15. Lebensjahr und für die weiblichen Versicherten vom erfüllten 15. bis zum erfüllten 65. Lebensjahr,
20 % der Krankenpflegekosten für die übrigen Versicherten.
2) Falls die gesamten Beiträge des Staates nach Abs. 1 weniger als 22 % der gesamten Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber ausmachen, wird die Differenz den Kassen zusätzlich vergütet nach Massgabe der Mitgliederbestände am Ende des Rechnungsjahres.
3) Die Beiträge des Staates werden aus den allgemeinen Staatsmitteln aufgebracht. Die Regierung ordnet die Einzelheiten.
5. Teil
Verschiedene Bestimmungen
Art. 25
Haftung des Arbeitgebers; Lohnzahlung; Auszahlung des Krankengeldes
1) Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer nicht oder nicht im gesetzlichen Umfang für Krankenpflege und Krankengeld versichert haben, haften den Arbeitnehmern mindestens für die entgangenen Versicherungsleistungen.
2) Zahlt der Arbeitgeber dem krankengeldberechtigten Arbeitnehmer weiterhin den vollen Lohn, so ist ihm für die Zeit der Lohnzahlung das Krankengeld auszuzahlen.
3) Das Krankengeld ist von der Kasse mindestens einmal pro Monat auszubezahlen.
Art. 26
Sicherung der Leistungen
Die Ansprüche auf Versicherungsleistungen sind unabtretbar, unverpfändbar und der Zwangsvollstreckung entzogen. Jede Abtretung oder Verpfändung ist nichtig. Die Kasse kann Leistungen für Krankenpflege direkt an Ärzte, Apotheken, medizinische Hilfspersonen und Heilanstalten auszahlen.
Rechtsmittel
Art. 27
1. Gegen Verfügungen
1) Ist ein Versicherter oder ein Aufnahmewerber mit dem Bescheid einer Kasse nicht einverstanden, so hat diese innert 30 Tagen eine schriftliche Verfügung mit Angabe der Gründe und der Rechtsmittel zu erlassen.
2) Gegen Verfügungen der Kasse steht den Beteiligten binnen 60 Tagen ab Zustellung der Verfügung die Klage an das Landgericht offen. Eine Vermittlungsverhandlung ist nicht vorgeschrieben.
3) Die Verfügungen der Kasse werden nach unbenütztem Ablauf der Klagefrist oder mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage rechtskräftig und vollstreckbar.
Art. 28
2. In anderen Fällen
1) Streitigkeiten zwischen Kassen und Ärzten, Apothekern, medizinischen Hilfspersonen oder Heilanstalten sowie Streitigkeiten zwischen Kassen und dem Verband werden durch ein Schiedsgericht im Sinne der Zivilprozessordnung entschieden. Jede Streitpartei bestellt einen Schiedsrichter, und die Gewählten ernennen einen neutralen Obmann. Kann über die Person des Obmanns keine Einigkeit erzielt werden, so wird er durch das Obergericht bestellt.
2) Gegen die Entscheidung des Schiedsgerichtes können die Betroffenen Berufung beim Obergericht einlegen. Dessen Entscheidung kann mit dem Rechtsmittel der Revision beim Obersten Gerichtshof angefochten werden. Für die Berufung an das Obergericht und die Revision durch den Obersten Gerichtshof sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung und sinngemäss die Art. 86 bis 95 des Gesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung anwendbar.
Art. 29
Strafbestimmungen
1) Wer sich absichtlich durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise der Versicherungs- oder der Beitragspflicht entzieht,
wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht, sie indessen dem vorgesehenen Zweck entfremdet,
wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise von einer Kasse für sich oder einen anderen eine Leistung im Sinne dieses Gesetzes erwirkt, die ihm nicht zukommt,
wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise einen Beitrag aufgrund dieses Gesetzes erwirkt,
wer die Schweigepflicht verletzt oder bei der Durchführung dieses Gesetzes seine Stellung als Organ oder Funktionär zum Nachteil Dritter oder zum eigenen Vorteil missbraucht,
wird, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Vergehen oder Verbrechen vorliegt, vom Landgericht wegen Übertretung mit Arrest bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 20 000 Franken bestraft. Beide Strafen können verbunden werden.
2) Wer sich einer von der zuständigen Stelle angeordneten Kontrolle widersetzt oder diese auf andere Weise verunmöglicht, wird, falls nicht ein Tatbestand nach Abs. 1 erfüllt ist, von den ordentlichen Gerichten wegen Übertretung mit einer Geldstrafe bis zu 10 000 Franken bestraft.
6. Teil
Schluss- und Übergangsbestimmungen
Art. 30
Durchführung
1) Die Regierung erlässt die zur Durchführung dieses Gesetzes nötigen Verordnungen.
2) Mit der Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen sowie der sich darauf stützenden Verfügungen wird das Amt für Industrie und Gewerbe betraut. Die Arbeitgeber, die Versicherten und die Kassen sind verpflichtet, die für den Vollzug des Gesetzes und der Verordnungen erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
3) Die Regierung kann für Kassen, die nach bisherigem Recht Staatszuschüsse erhalten haben, ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren vorsehen.
4) Die Versicherungspflichtigen haben sich bis spätestens 30. Juni 1972 gemäss diesem Gesetz versichern zu lassen.
5) Die Regierung ordnet im einzelnen den Übergang von der bisherigen zu der in diesem Gesetz umschriebenen Regelung.
Art. 31
Aufgehobene Bestimmungen
1) Alle mit diesem Gesetz in Widerspruch stehenden Bestimmungen sind aufgehoben.
2) Insbesondere sind aufgehoben:
a) Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes vom 24. Januar 1941 betreffend die Bekämpfung der Tuberkulose, LGBl. 1941 Nr. 3, und die gestützt darauf erlassene Verordnung vom 16. April 1959 über die Tuberkuloseversicherung, LGBl. 1959 Nr. 12;
b) die Verordnung vom 11. April 1946 betreffend die Krankenversicherung, LGBl. 1946 Nr. 10, und die Verordnung vom 3. Juni 1954 betreffend die Durchführung der Krankenversicherung, LGBl. 1954 Nr. 11;
c) das Gesetz vom 9. September 1960 betreffend die Kranken- und Unfallversicherung in der Land- und Hauswirtschaft sowie die Änderung von Bestimmungen über die Versicherung gegen Nichtbetriebsunfälle, LGBl. 1960 Nr. 21, und die gestützt darauf erlassene Verordnung vom 16. Februar 1961, LGBl. 1961 Nr. 9, soweit sich die Bestimmungen auf die Krankenversicherung beziehen;
d) das Gesetz vom 30. Januar 1962 betreffend die Krankenversicherungspflicht für die Arbeitnehmer in Industrie- und Gewerbebetrieben, LGBl. 1962 Nr. 7, und die gestützt darauf erlassene Verordnung vom 26. April 1962, LGBl. 1962 Nr. 16;
e) Art. 94 des Gesetzes vom 29. November 1945 betreffend die Arbeit in Industrie und Gewerbe, LGBl. 1946 Nr. 4.
Art. 32
Inkrafttreten
Dieses Gesetz wird als nicht dringlich erklärt und tritt am 1. Januar 1972 in Kraft.
gez. Franz Josef

gez. Dr. Alfred Hilbe

Fürstlicher Regierungschef