170.70
Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
Jahrgang 2021 Nr. 358 ausgegeben am 18. November 2021
Gesetz
vom 5. November 2021
über Begleitmassnahmen in der Verwaltung und Justiz in Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-VJBG)
Dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung:1
I. Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Gegenstand und Bezeichnungen
1) Dieses Gesetz legt Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) und zur Abmilderung seiner Folgen fest und regelt insbesondere:
a) die Erstreckung von Fristen in gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren;
b) den Betrieb von Gerichten und Verwaltungsbehörden;
c) Massnahmen in besonderen Verfahren;
d) Massnahmen im Gesellschaftsrecht.
2) Die Vorschriften dieses Gesetzes gehen anderen mit ihnen im Widerspruch stehenden gesetzlichen Bestimmungen vor.
3) Unter den in diesem Gesetz verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen sind Angehörige des weiblichen und männlichen Geschlechts zu verstehen.
II. Erstreckung von Fristen
Art. 2
Erstreckung von Fristen
1) In allen gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren können sämtliche verfahrensrechtlichen Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes fällt, oder die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht abgelaufen sind, während der Geltungsdauer dieses Gesetzes auf Antrag erstreckt werden.
2) Der Antrag auf Erstreckung verfahrensrechtlicher Fristen ist schriftlich beim Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde einzubringen, das bzw. die das Verfahren führt. Der Antrag auf Erstreckung von Rechtsmittelfristen ist beim Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde einzubringen, dessen bzw. deren Entscheidung bekämpft wird. Der Antrag ist per Post, E-Mail oder Fax zu stellen.
Art. 3
Entscheid über den Antrag auf Fristerstreckung
1) Dem Antrag auf Fristerstreckung nach Art. 2 Abs. 2 ist stattzugeben, wenn:
a) dieser nicht rechtsmissbräuchlich ist;
b) diesem keine gewichtigen öffentlichen Interessen entgegenstehen; oder
c) diesem keine gewichtigen Interessen weiterer Verfahrensbeteiligter entgegenstehen.
2) Entscheide nach Abs. 1 sind bei kollegial besetzten Gerichten und Verwaltungsbehörden vom jeweiligen Präsidenten oder Vorsitzenden zu fällen.
3) Wird dem Antrag stattgegeben, ist eine neue angemessene Frist unter Angabe des Ablaufdatums festzusetzen. Dieser Entscheid kann nicht angefochten werden. Die Zustellung des Entscheids erfolgt per Post, E-Mail oder Fax.
III. Betrieb von Gerichten und Verwaltungsbehörden
Art. 4
Anhörungen, Verhandlungen und sonstige Amtshandlungen vor Gerichten und Verwaltungsbehörden
1) Anhörungen und mündliche Verhandlungen vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde sind unter Einhaltung der Empfehlungen der Regierung und des Amtes für Gesundheit betreffend Hygiene und sozialer Distanz durchzuführen.
2) Abs. 1 gilt sinngemäss auch für die Erteilung und Durchführung von Vollzugsaufträgen sowie für die Protokollierung mündlichen Anbringens, persönliche Termine und Einvernahmen, Akteneinsichten und sonstige Handlungen mit persönlichem Kontakt.
3) Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann mit Einverständnis der Parteien mündliche Verhandlungen und Anhörungen ohne persönliche Anwesenheit der Parteien oder ihrer Vertreter unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel durchführen.
Art. 5
Beratungen und Abstimmungen
1) Bei kollegial besetzten Gerichten oder Verwaltungsbehörden kann der jeweilige Präsident oder Vorsitzende die Beratung und Beschlussfassung über eine Rechtssache durch Einholung einer Erklärung der Mitglieder unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel oder im Umlaufweg ersetzen. Der Präsident oder Vorsitzende hat dies spätestens eine Woche vor ihrem Beginn unter Angabe der zu beratenden Rechtssache allen Mitgliedern schriftlich mitzuteilen.
2) Die Abgabe einer Erklärung nach Abs. 1 kann mündlich oder schriftlich oder per E-Mail an eine vom Präsidenten oder Vorsitzenden bestimmte E-Mail-Adresse bis zu einem von diesem bestimmten Zeitpunkt erfolgen; die Erklärung ist gültig, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt eingegangen ist.
3) Der Entscheidungsentwurf soll nach Möglichkeit eine Woche vor dem vom Präsidenten oder Vorsitzenden nach Abs. 2 bestimmten Zeitpunkt an alle Mitglieder des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde übermittelt werden. Diese können schriftliche Berichte und Anträge verfassen und verteilen lassen.
IV. Massnahmen in besonderen Verfahren
Art. 6
Strafverfahren
Der Besuchsverkehr (§ 137 Abs. 1 StPO) im Landesgefängnis wird während der Geltungsdauer dieses Gesetzes auf telefonische Kontakte beschränkt. Es können auch weitere Beschränkungen des Verkehrs mit der Aussenwelt vorgesehen werden.
Art. 7
Massnahmen im Zusammenhang mit der fürsorgerischen Unterbringung nach dem Sozialhilfegesetz
Für das persönliche Anhörungsrecht nach Art. 18i Abs. 2 des Sozialhilfegesetzes gilt Art. 4 dieses Gesetzes sinngemäss.
V. Massnahmen im Gesellschaftsrecht
Art. 8
Versammlungen von Verbandspersonen und Treuunternehmen sowie von Gesellschaftern von Personengesellschaften
1) Versammlungen des obersten Organs von Verbandspersonen und Treuunternehmen können ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt und die Beschlüsse unabhängig von der Anzahl von Mitgliedern im Zirkulationsweg gefasst werden, wenn:
a) den Mitgliedern die ausdrücklich formulierten Beschlüsse schriftlich übermittelt werden; und
b) die für einen Beschluss erforderliche Mindestzahl von Stimmberechtigten an der Abstimmung teilnimmt.
2) Versammlungen des obersten Organs von Verbandspersonen und Treuunternehmen können auch ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt und die Beschlüsse unabhängig von der Anzahl von Mitgliedern per Video- oder Telefonkonferenz gefasst werden, wenn die genauen Modalitäten für die Teilnahme und Stimmabgabe in der Einberufung bekannt gegeben werden. Die Bestimmungen des Personen- und Gesellschaftsrechts gelten sinngemäss.
3) Für Versammlungen anderer Organe von Verbandspersonen und Treuunternehmen, die nicht unter Abs. 1 und 2 fallen, sowie von Gesellschaftern von Personengesellschaften gelten Abs. 1 und 2 sinngemäss.
4) Erweist sich die in den Abs. 1 bis 3 beschriebene Vorgehensweise insbesondere aufgrund des betroffenen Teilnehmerkreises (Aktionäre bei Publikumsgesellschaften) als unpraktikabel, kann der Veranstalter ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl von Teilnehmern und ohne Einhaltung der Einberufungsfrist anordnen, dass die Teilnehmer an der Versammlung nicht physisch teilnehmen dürfen und ihre Rechte ausschliesslich ausüben können:
a) auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form; oder
b) durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtvertreter.
5) Die in Abs. 1 bis 4 eingeräumte Möglichkeit zur Durchführung der Versammlung oder Beschlussfassung kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Einberufung zur Versammlung bereits erfolgt ist, vorausgesetzt, dass den Teilnehmern spätestens bis vier Tage vor dem Tag der Versammlung mittels Nachtrags zur Einberufung mitgeteilt wird, dass die Versammlung oder die Beschlussfassung in der in Abs. 1 bis 4 beschriebenen Weise stattfinden wird.
6) Versammlungen können selbst dann in der in Abs. 1 bis 4 beschriebenen Weise stattfinden, wenn dies den Teilnehmern in der Einberufung mitgeteilt wurde, die Versammlung jedoch erst auf einen Zeitpunkt nach Ausserkrafttreten dieses Gesetzes anberaumt wurde.
VI. Schlussbestimmung
Art. 9
Inkrafttreten und Geltungsdauer
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Kundmachung in Kraft und gilt bis zum 30. Juni 2022.
Der Landtag hat dieses Gesetz als dringlich erklärt.

In Stellvertretung des Landesfürsten:

gez. Alois

Erbprinz

gez. Dr. Daniel Risch

Fürstlicher Regierungschef

1   Bericht und Antrag der Regierung Nr. 86/2021