954.5
Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
Jahrgang 2016Nr. 156ausgegeben am 28. April 2016
Gesetz
vom 2. März 2016
zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Durchführungsgesetz; EMIR-DG)
Dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung:1
Art. 1
Zweck
1) Dieses Gesetz dient der Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister2.3
2) Die jeweils geltende Fassung der in Abs. 1 genannten EWR-Rechtsvorschrift ergibt sich aus der Kundmachung der Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses im Liechtensteinischen Landesgesetzblatt nach Art. 3 Bst. k des Kundmachungsgesetzes.
Art. 2
Begriffe und Bezeichnungen
1) Bezugnahmen in diesem Gesetz auf juristische Personen sind so zu verstehen, dass sie eingetragene Personengesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit einschliessen.
2) Unter den in diesem Gesetz verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen sind Angehörige des weiblichen und männlichen Geschlechts zu verstehen.
Art. 3
Zuständige Behörde
Die FMA ist die für Liechtenstein zuständige Behörde nach Art. 10 Abs. 5 und Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und nimmt die einer zuständigen Behörde zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nach der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und diesem Gesetz wahr.
Art. 4
Befugnisse
1) Die FMA überwacht die Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und dieses Gesetzes. Sie trifft die für den Vollzug notwendigen Massnahmen direkt, in Zusammenarbeit mit anderen Aufsichtsorganen oder durch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.
2) Die FMA besitzt alle erforderlichen Befugnisse um ihre Aufgaben zu erfüllen und kann dabei insbesondere:
a) von den der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und diesem Gesetz Unterstellten, einschliesslich der bei diesen angestellten Personen und deren Wirtschaftsprüfern bzw. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie von Dritten alle für den Vollzug der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und dieses Gesetzes erforderlichen Informationen und Unterlagen verlangen;4
b) ausserordentliche Prüfungen durch einen Wirtschaftsprüfer bzw. eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft anordnen oder selbst vor Ort Prüfungen durchführen;5
c) die Einstellung einer Praxis, die gegen die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 oder dieses Gesetzes verstösst, verlangen;
d) von zentralen Gegenparteien bereits existierende Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenübermittlungen anfordern.6
2a) Liegen Umstände vor, welche die Erfüllung der Verpflichtungen einer zentralen Gegenpartei gegenüber Clearingmitgliedern und Kunden oder die Stabilität des Finanzsystems als gefährdet erscheinen lassen, kann die FMA insbesondere ohne Mahnung und Fristsetzung:7
a) Kapital- und Gewinnentnahmen sowie Kapital- und Gewinnausschüttungen ganz oder teilweise untersagen;
b) einen Beobachter einsetzen, der Informationen für die FMA erhebt und dem alle Geschäftsvorfälle zu berichten sind;
c) einen Kommissär einsetzen, ohne dessen Zustimmung die zentrale Gegenpartei oder deren Geschäftsleiter keine Willenserklärungen für die zentrale Gegenpartei abgeben dürfen;
d) Geschäftsleitern unter gleichzeitiger Verständigung des zur Bestellung der Geschäftsleiter zuständigen Organs die Führung des Unternehmens ganz oder teilweise untersagen; das zuständige Organ hat binnen eines Monats die entsprechende Anzahl von Geschäftsleitern neu zu bestellen; die Bestellung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung der FMA, die zu versagen ist, wenn die neu bestellten Geschäftsleiter nicht geeignet scheinen, eine Abwendung der Gefahren herbeiführen zu können;
e) die Fortführung des Geschäftsbetriebes ganz oder teilweise untersagen.
2b) Die Massnahmen nach Abs. 2a Bst. d und e sind abweichend von Art. 963 Abs. 5 PGR unter Hinweis auf die ausstehende Rechtskraft der Verfügung im Handelsregister bei der zentralen Gegenpartei zu vermerken und können, soweit dies zum Schutz der Clearingmitglieder und Kunden sowie des öffentlichen Interesses erforderlich ist, den Clearingmitgliedern und Kunden mitgeteilt sowie auf der Internetseite der FMA veröffentlicht werden.8
2c) Die FMA kann von zentralen Gegenparteien für die Massnahmen nach Abs. 2a Bst. b und c einen Kostenvorschuss verlangen. Die Pflicht zum Kostenvorschuss kann mit der Massnahme verbunden werden. Der Vorschuss ist zurückzuerstatten, wenn keine Rechtsverstösse festzustellen sind. Er darf einbehalten werden, soweit aufgrund weiterer Massnahmen nach Abs. 2a und 2b mit Kosten in mindestens derselben Höhe zu rechnen ist.9
2d) Die FMA hat bei der Auswahl der Massnahmen nach Abs. 2a der Verhältnismässigkeit der Mittel Rechnung zu tragen.10
3) Die FMA veröffentlicht jede rechtskräftige Entscheidung über eine wegen eines Verstosses gegen Art. 4, 5 oder 7 bis 11 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 oder die Vorschriften dieses Gesetzes verhängte Strafe auf ihrer Internetseite. Sie kann diese Entscheidungen in anonymisierter Form veröffentlichen, wenn die Offenlegung personenbezogener Daten, einschliesslich personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten:11
a) unter Berücksichtigung des Schadens für den Betroffenen unverhältnismässig wäre; oder
b) die Stabilität der Finanzmärkte gefährden würde.
4) Die FMA veröffentlicht in regelmässigen Abständen Berichte über die Bewertung der Wirksamkeit der Strafbestimmungen dieses Gesetzes. Personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutzgesetzgebung sind nicht Teil der Offenlegung und Veröffentlichung dieser Informationen.12
Art. 5
Nichtfinanzielle Gegenparteien
1) Nichtfinanzielle Gegenparteien im Sinne von Art. 2 Ziff. 9 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, die im abgelaufenen Geschäftsjahr entweder OTC-Derivate im Sinne von Art. 2 Ziff. 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 mit einem Bruttonennwert von mehr als 100 Millionen Franken oder mehr als 100 OTC-Derivate eingegangen sind, haben durch einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft prüfen zu lassen, ob sie über geeignete Systeme zur Einhaltung der anwendbaren Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verfügen.13
2) Für die Berechnung der Schwellenwerte nach Abs. 1 sind OTC-Derivate nicht zu berücksichtigen, die als gruppeninterne Geschäfte:
a) der Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 unterliegen; oder
b) von den Anforderungen des Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 befreit sind.
2a) Nichtfinanzielle Gegenparteien teilen der FMA schriftlich mit, wenn einer der Schwellenwerte nach Abs. 1 überschritten und ein Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestellt wird. Der Mitteilung ist ein Nachweis über die durchgeführte Berechnung anzuschliessen.14
3) Der Wirtschaftsprüfer oder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat das Ergebnis der Prüfung nach Abs. 1 in einem schriftlichen Bericht festzuhalten und diesen innerhalb von neun Monaten nach Ablauf des betreffenden Geschäftsjahres an die nichtfinanzielle Gegenpartei zu übermitteln. Ergibt die Prüfung nach Abs. 1 Mängel in den Systemen der nichtfinanziellen Gegenpartei zur Einhaltung der Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, hat der Wirtschaftsprüfer oder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft den Bericht gleichzeitig an die FMA zu übermitteln.15
4) Die Regierung kann das Nähere über den Inhalt der Prüfung nach Abs. 1 sowie den Inhalt und die Übermittlung des Berichts nach Abs. 3 mit Verordnung regeln.
Art. 6
Entscheidungen der FMA
Werden Verstösse gegen Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 oder dieses Gesetzes festgestellt und keine Abhilfe geschaffen, so trifft die FMA die nötigen Entscheidungen und ergreift die entsprechenden Massnahmen.
Art. 7
Rechtsmittel
1) Gegen Entscheidungen der FMA kann binnen 14 Tagen ab Zustellung Beschwerde bei der FMA-Beschwerdekommission erhoben werden.
2) Gegen Entscheidungen der FMA-Beschwerdekommission kann binnen 14 Tagen ab Zustellung Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Art. 8
Vergehen und Übertretungen
1) Vom Landgericht wird wegen Vergehens mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bestraft, wer ohne die erforderliche Zulassung Clearingdienstleistungen nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 oder erweiterte Clearingdienstleistungen nach Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 erbringt.
2) Von der FMA wird, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, wegen Übertretung mit Busse bis zu 150 000 Franken bestraft, wer:
a) gegen die Clearingpflicht nach Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
b) gegen die Verpflichtung zur fristgerechten, diskriminierungsfreien und transparenten Gewährung von Zugang nach Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
c) gegen die Verpflichtung zur fristgerechten, diskriminierungsfreien und transparenten Zurverfügungstellung von Handelsdaten nach Art. 8 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
d) gegen die Melde- oder Aufbewahrungspflicht nach Art. 9 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;16
e) gegen die Mitteilungspflicht nach Art. 10 Abs. 1 Bst. a der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
f) gegen die Verpflichtung zum Einsatz von Risikominderungstechniken nach Art. 11 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
g) gegen die Informationspflicht nach Art. 31 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 verstösst;
h) gegen die Verpflichtung zur Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nach Art. 5 Abs. 1 verstösst;17
i) gegen die Mitteilungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a verstösst;18
ibis) gegen die Verpflichtung zur Übermittlung des Berichts an die FMA nach Art. 5 Abs. 3 verstösst;19
k) einer Aufforderung zur Herstellung des rechtmässigen Zustandes oder einer anderen Verfügung der FMA nicht nachkommt.
3) Die FMA hat Bussen nach Abs. 2 gegen eine juristische Person zu verhängen, wenn die Übertretungen nach Abs. 2 in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen der juristischen Person (Anlasstaten) durch Personen begangen werden, die entweder allein oder als Mitglied des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung, des Vorstands oder Aufsichtsrats der juristischen Person oder aufgrund einer anderen Führungsposition innerhalb der juristischen Person oder aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Auftragsverhältnisses gehandelt haben, aufgrund derer sie:
a) befugt sind, die juristische Person nach aussen zu vertreten;
b) Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausüben; oder
c) sonst massgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung der juristischen Person ausüben.
4) Eine Strafbarkeit der juristischen Person nach Abs. 2 liegt nur dann vor, wenn sie es durch Mitglieder des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung, des Vorstands oder Aufsichtsrats oder aufgrund einer anderen Führungsposition innerhalb der juristischen Person oder aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Auftragsverhältnisses unterlassen hat, die erforderlichen und zumutbaren Massnahmen zur Verhinderung derartiger Anlasstaten zu ergreifen.
5) Die Verantwortlichkeit der juristischen Person für die Anlasstat nach Abs. 2 und die Strafbarkeit der in Abs. 3 genannten Personen wegen derselben Tat schliessen einander nicht aus. Die FMA kann von der Bestrafung einer natürlichen Person absehen, wenn für dieselbe Verletzung bereits eine Geldbusse gegen die juristische Person verhängt wird und keine besonderen Umstände vorliegen, die einem Absehen von der Bestrafung entgegenstehen.
6) Bei Begehung im Geschäftsbetrieb einer nichtfinanziellen Gegenpartei im Sinne von Art. 2 Ziff. 9 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 beträgt die Strafobergrenze 50 000 Franken.
7) Bei fahrlässiger Begehung werden die Strafobergrenzen nach Abs. 1 und 2 auf die Hälfte herabgesetzt.
Art. 9
Verantwortlichkeit
Werden die Widerhandlungen im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person oder einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft oder Einzelfirma begangen, finden die Strafbestimmungen auf die Personen Anwendung, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen, jedoch unter solidarischer Mithaftung der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma für die Bussen und Kosten.
Art. 10
Aufsichtsabgaben und Gebühren
Die Aufsichtsabgaben und Gebühren richten sich nach der Finanzmarktaufsichtsgesetzgebung.
Art. 11
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 in Kraft.20

In Stellvertretung des Landesfürsten:

gez. Alois

Erbprinz

gez. Adrian Hasler

Fürstlicher Regierungschef

1   Bericht und Antrag sowie Stellungnahme der Regierung Nr. 128/2015 und 10/2016

2   Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 1).

3   Art. 1 Abs. 1 abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

4   Art. 4 Abs. 2 Bst. a abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

5   Art. 4 Abs. 2 Bst. b abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

6   Art. 4 Abs. 2 Bst. d eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

7   Art. 4 Abs. 2a eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

8   Art. 4 Abs. 2b eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

9   Art. 4 Abs. 2c eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

10   Art. 4 Abs. 2d eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

11   Art. 4 Abs. 3 Einleitungssatz abgeändert durch LGBl. 2018 Nr. 306.

12   Art. 4 Abs. 4 abgeändert durch LGBl. 2018 Nr. 306.

13   Art. 5 Abs. 1 abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

14   Art. 5 Abs. 2a eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

15   Art. 5 Abs. 3 abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

16   Art. 8 Abs. 2 Bst. d abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

17   Art. 8 Abs. 2 Bst. h abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

18   Art. 8 Abs. 2 Bst. i abgeändert durch LGBl. 2020 Nr. 324.

19   Art. 8 Abs. 2 Bst. ibis eingefügt durch LGBl. 2020 Nr. 324.

20   Inkrafttreten: 1. Juli 2017 (LGBl. 2017 Nr. 150).